mit Prof. Carles Ossorio-Capella

Linkes Forum Oldenburg, 10.03.2013, Räume der ALSO (Donnerschweer Str. 55)

Diskussionsthesen


1. Die politischen und sozialen Probleme Spaniens verstehen zu können hat zur Voraussetzung, die Folgen der Franco-Diktatur zu sehen sowie die Tatsache, dass diese Diktatur nicht verarbeitet worden ist.

2. Die soziale Bewegungen seit der Finanzkrise von 2007 sind durch lokale Probleme geprägt und können schwer verallgemeinert werden.

3. Die informelle Linke ist von allen Formen des Staatssozialismus weit entfernt. Ursachen:
a) Enttäuschung über das sowjetische System
b) Die Erfahrungen während der Franco-Diktatur
c) Die weit verbreitet Korruption innerhalb der politischen Gruppen im aktuellen Spanien.
Alternative Vorstellungen über eine sozialistische Gesellschaft sind kaum vorhanden.

4. Die sozialen Bewegungen in Katalonien haben in der Auseinandersetzung mit tagtäglichen Problemen erhebliche Erfolge verbucht. Auf einer programmatischen Ebene sind sie durch die Forderung nach einem katalanischen Staat geeint.

5. Im Kampf gegen die Franco-Diktatur waren sich alle Gruppierungen, von den Christlich-Demokraten bis zu den Kommunisten, in den Forderungen nach Legalisierung der katalanischen Sprache und Kultur einig. Seitdem gelten regionalen Forderungen in Katalonien als fortschrittlich.

6. Nach der Einführung der Demokratie wurde die Unterdrückung des Katalanischen einschließlich des Verbots der katalanischen Sprache aufgehoben und ein modus vivendi gefunden, der von einem sehr großen Teil der Bevölkerung als akzeptabel angesehen wurde. Die Situation änderte sich, als das spanische Verfassungsgericht mit vier zu drei Stimmen beschloss, dass Teile des Autonomiestatuts Kataloniens verfassungswidrig seien. Eine neue, einvernehmliche Lösung zwischen Madrid und Barcelona scheint zurzeit kaum möglich.

7. Die Regionalwahlen von November 2012 bestätigen die Kraft der katalanischen Nationalisten:

Parteien, die die Unabhängigkeit eines katalanischen Staates fordern:
Christlich-Demokraten (CIU):   30%
Linksliberale (ERC) :               15%
„Soziale Bewegungen“ (CUP):   4%
  Insgesamt:                       49%
Parteien, die für eine Verfassungsänderung plädieren, aber gegen die Unabhängigkeit sind:
Sozialistische Partei (PSC):     16%
Parteien, die den Status quo nicht ändern möchten:
Volkspartei (PP):               13%
Traditionelle Linke (ICV):    10%
Sonstige (Ciutadans):        10%
   Insgesamt:                  33%

8. Für die Wahlentscheidung zugunsten eines selbstständigen katalanischen Staates sprach nach Meinung vieler Wähler die Vorstellung, Katalonien würde einen zu großen Beitrag zur Finanzierung des Zentralstaates und zur Entwicklung anderer Regionen leisten. Das Antisolidarische „wir geben nichts, wir geben zu viel“ wiederholt sich regelmäßig zwischen reichen und armen Regionen und Ländern innerhalb Europas. Im Fall Kataloniens kommt die Besonderheit hinzu, dass unter der Franco Diktatur eine Politik verfolgt wurde, die tatsächlich schwere rechtliche Benachteiligungen der Region und ihrer Bewohner intendierte und auch durchsetzte. Auf die traumatischen Erfahrungen dieser Diskriminierung kann noch heute zurückgegriffen werden, weil die Franco Diktatur bis heute in Spanien nicht bearbeitet wurde.