Buchbesprechung zu
Claus Leggewie, Horst Meier: Nach dem Verfassungsschutz – Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik
am 21. Mai, 11 Uhr, in der Donnerschweer Straße 55
Nicht zuletzt seit der NSU-Mordserie und einem Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen steht die Rolle des Verfassungsschutzes als geheimer Hüter der Verfassung und Schützer der Demokratie in der Kritik. Trotz aller Skandale ist der Verfassungsschutz aber auf Bundes- wie Landesebene durch zusätzliche Stellen und Überwachungsmöglichkeiten gestärkt worden: Er soll die Demokratie und den Staat vor den ganz Rechten bewahren! Einher geht diese Abwehr gegen „Extremisten“ mit Grundrechtseinschränkungen für diejenige, die in das Visier des Verfassungsschutzes geraten (siehe unten).
„Lebenslüge vom ‚Frühwarnsystem'“
Leggewie und Meier ziehen diese Methode der Demokratierettung in Zweifel und propagieren stattdessen die Freiheit, „harsche Kritik zu üben“: „Robuste Toleranz, die nicht ‚ewige Werte’ beschwört, sondern demokratische Spielregeln hochhält, kann verbalradikale ‚Extremisten‘ besser integrieren als jede autoritäre Maßnahme. Das Haus des Grundgesetzes hat viele Wohnungen.“ (Seite 10). Sie setzen sich umfassend mit Geschichte und Funktion des Verfassungsschutzes und mit der „Lebenslüge vom ‚Frühwarnsystem“ auseinander. Anschließend entwerfen sie eine „Skizze einer neuen Sicherheitsarchitektur“.
Leider hat dieses Buch aus dem Jahr 2019 neue Aktualität erhalten, weil eine neue Welle von „autoritären Maßnahmen“ droht:
Grundrechtseinschränkungen - ein Mittel , um „Extremisten“ abzuwehren?
Im Februar 2023 billigte das Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf der Inneministerin Faeser, der eine „spürbare Beschleunigung“ von Disziplinarverfahren zur Beendigung eines Beamtenverhältnisses vorsieht. Statt durch ein Disziplinarverfahren am Verwaltungsgericht sollen künftig Behörden selbst per Disziplinarverfahren aus dem Dienst entfernen dürfen – auch für bereits Pensionierte soll dies gelten. Erst anschließend sollen Entlassene die Möglichkeit erhalten, durch eine Klage die Rechtmäßigkeit der Entlassung gerichtlich prüfen zu lassen. Begründet wird der Gesetzesentwurf mit dem Ziel, „Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen, um die Integrität des öffentlichen Dienstes sicherzustellen“.
In der Tradition des „Radikalenerlasses“
Das Projekt der Innenministerin zur Beweislastumkehrung bei Entlassungen steht in einer unseligen Tradition: Bereits der „Radikalenerlass“ von 1972 hatte den Zweck, politisch nicht genehme Personen möglichst schnell per Behördenentscheidung aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen bzw. nicht einzustellen, ohne die Verpflichtung, gerichtsverwertbare Vorwürfe vorzulegen. Der Verdacht war entscheidend! Und genau dieses Verfahren aus den Zeiten des Radikalenerlasses sieht jetzt der in Brandenburg in erster Lesung bereits durch den Landtag gegangene Gesetzentwurf für einen „Verfassungstreue-Check“ vor, der bei Bewerbungen für den öffentlichen Dienst vorgenommen werden soll. In Sachsen ist Ähnliches geplant.
Schlüsselfunktion für Verfassungsschutz
Bei allen diesen Verfahren zum angeblichen Schutz der „Integrität des öffentlichen Dienstes“ kommt dem Verfassungsschutz eine Schlüsselfunktion zu. Bei Bewerbungen um Stellen im Öffentlichen Dienst soll eine Anfrage beim Verfassungsschutz wieder zur Regel vor einer Einstellung werden, und Hinweise des Verfassungsschutzes sollen zu Disziplinarverfahren zur Entlassung von Beamten führen. Dann hängt es wieder von nicht überprüfbaren „Erkenntnissen“ des Verfassungsschutzes ab, ob jemand Richter*in oder Lehrer*in werden kann – ganz wie in den 1970er und 1980er Jahren, als etwa 3,5 Mio. Personen politisch überprüft, 25.000 bis 35.000 Bewerber*innen vom Verfassungsschutz als verdächtig gemeldet und mehr als 10.000 Berufsverbotsfahren eingeleitet wurden – 99% der Nicht-Eingestellten und Entlassenen waren Linke, obwohl auch damals die Abwehr von rechten wie linken „Extremisten“ proklamiert wurde.