Elmar Altvater Buch : „Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen“
Ergänzende Anmerkungen von Ulrich Schachtschneider

1.

Es gibt, wie auch die Arbeitsgruppe gut begründet, keine generelle Affinität
zwischen kapitalistischer Ökonomie und Energiegewinnungsarten.


Altvater schließt offensichtlich aus der Tatsache der historischen Koinzidenz,
dem gleichzeitigen Auftreten von fossiler Energienutzung und kapitalistischen
Fabriken auf einen Verursachungszusammenhang. Die fossile
Energiegewinnung ist zwar historischer Geburtshelfer, nicht jedoch eine
zwingende Bedingung kapitalistischer Produktion.

2.

Altvaters Begründung für die Nicht-Kongruenz von erneuerbaren Energien
und Kapitalismus ist nicht schlüssig:
Zunächst beschreibt er richtig, die fossilen Primärenergien (Gas, Kohle,
Öl) passten deshalb so gut zum Kapitalismus, da sie in Sekundärenergien
(Treibstoffe, Elektrizität) umgewandelt werden können, die die Anwendung
zeit- und raumunabhängig machen - eine für die Beschleunigung der
Produktion, für die Aufrechterhaltung kapitalistischer Akkumulation unabdingbare
Qualität. Altvater begründet dann die nicht gegebene Kapitalismus-
Kongruenz erneuerbarer Energien (Wind/Sonne/Biomasse): „Erneuerbare
Energien sind langsamer als die fossilen Energien, sie haben
nicht deren Beschleunigungspotenziale, es sei denn, sie werden in die
gleichen Sekundärenergien verwandelt (Treibstoff, Elektrizität), in die
auch fossile Primärenergie umgewandelt wird.“(S. 210) Warum kann diese
Umwandlung nicht im Kapitalismus stattfinden? Bei dieser für seine
Argumentation zentralen Frage wird es bei Altvater dünn: „Viele meinen,
man können die so vorteilhafte Kongruenz auch mit erneuerbaren Energien
erhalten. Doch dies dürfte sich als Illusion herausstellen: Zwar wäre
es im Prinzip möglich, mit den erneuerbaren Energieträgern bei der Elektrizitätserzeugung
die fossilen und nuklearen Energieträger zu ersetzen.
Doch schon heute ist dies schwierig“ (S. 214, Hervorhebung US).
Altvater verweist dann auf die „erdrückende Vorherrschaft von nuklearen
und fossilen Industrien“ und „die Stärke der Interessen, die auf die Energiepolitik
Einfluss nehmen“. Es liegt also offensichtlich doch nicht an der
technologischen Unmöglichkeit, aus erneuerbaren Energien Sekundärenergien
zu machen, sondern an der machtpolitischen Konstellation einer
Vorherrschaft einiger Energiekonzerne, an denen der Kapitalismus letztendlich
scheitert.

Auch Altvater hält diese Macht von Energiekonzernen aber offensichtlich
nicht für unverrückbar: „Nur an die 10% der Erzeugung von Strom stammt aus dem Einsatz erneuerbarer Energieträger. Das Verhältnis lässt sich ohne Zweifel zugunsten der erneuerbaren Energieträger verschieben. Das zeigen die Daten aus den Ländern der EU. Im Schnitt beträgt im Europa der 15 der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung fast 15%....“(S. 204, Hervorhebung US).

Eine prinzipielle Barriere schiebt Altvater hier selber zur Seite. Warum
sollte sie auch im Innern des Kapitalismus, der geradezu gekennzeichnet
ist durch eine hohe Innovativität, eine Schnelligkeit im Technologiewechsel,
begründet sein? In der Historie des Kapitalismus ist der Prozess der
Verdrängung alter durch neue industrielle Technologie Normalität. Diejenigen
Unternehmen, die dabei nicht schnell genug den Wandel vollziehen,
verschwinden vom Markt. Dies ist auch beim Wechsel der Energiegewinnungsart
nicht anders. Deshalb produziert BP etwa schon heute Solarzellen.

3.

Ist das technologische bzw. das die Entwicklung der Produktivkräfte in
den Blick nehmende Argument eines Widerspruchs von regenerativen
Energien und Kapitalismus deswegen ganz zu verwerfen?
Ich meine, nein: Es ist bisher technologisch nicht ansatzweise gesichert,
dass die gleichen Energiemengen, die bisher im fossilen Zeitalter die
ständige Expansion des Kapitalismus möglich machten, auch regenerativ
erzeugt werden können. Dies deutet Altvater richtigerweise am Beispiel
der Mobilität an: Bei den Treibstoffen für die Automobilflotte „stoßen wir
auf Grenzen der Substituierbarkeit fossiler durch regenerative Energieträger.
Die Automobilflotte vom Verbrauch der fossilen Kraftstoffe auf Bio-
Kraftstoffe umzustellen, ist kaum möglich ohne grundlegende Wandlung
der Verkehrssysteme, neue Konzepte von Mobilität….Die Änderung des
Energieregimes verlangt Änderungen von Produktions- und Lebensweise.
Dabei geht es auch um die Verringerung des Energieverbrauchs(durch
Energiesparen) insgesamt,..“. Die orts- und zeitunabhängige Sekundärenergie
Bio-Kraftstoff ist also durchaus herstellbar, wie an jeder Tankstelle
zu beobachten ist. Das Problem, welches Altvater hier anspricht ist
vielmehr die zu geringe Menge der regenerativen Energieerzeugung.

4.

Bei der zukünftig geotechnologisch verfügbaren Energiemenge tut sich
ein möglicher Widerspruch zur ständigen Expansion des Kapitalismus
auf, ein Antagonismus kann hingegen nicht abgeleitet werden. Wir wissen
nicht, welche Technologien wir in Zukunft noch erfinden werden.

5.

Noch wackeliger ist dann der nächste Schritt bei Altvater, der solare bzw.
regenerative Energietechnologie nur bei Strukturen solidarischer und
kleinräumig orientierter Ökonomie als realisierbar beschreibt. Altvater
möchte eine marx’sche Argumentationsfigur, die Determiniertheit der
(sozialen) Produktionsverhältnisse von der (technologischen) Produktionsweise,
auf den heutigen Stand des Kapitalismus anwenden. Die Pro3
duktionsweise, gekennzeichnet durch den Niedergang fossil basierter Energiegewinnung
ändert sich in Richtung regenerativer Energieerzeugung.
Dies erzwingt laut Altvater neue Produktionsverhältnisse: Eine solidarische
Ökonomie, die im innern des Alten auch schon heranreift.
Für eine zwingende Kopplung regenerativer Energietechnologie mit der
Sozialform solidarischer, kleinräumig orientierter Ökonomie gibt es jedoch,
wie oben angedeutet, keine belastbaren Argumente: Einzig eine
prinzipielle Nicht-Umwandelbarkeit regenerativer Energie in orts- und
zeitunabhängige Sekundärenergie würde ein Beschränkung der Ökonomie
auf kleinräumige Produktionseinheiten erzwingen (diese müssten aber
auch nicht zwingend solidarisch sein). Die Energie könnte dann nur am
Ort und zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung verbraucht werden (z.B. Windstrom
nur dann, wenn Wind weht in der Nähe eines Windrades). Altvater
überzeugt hier nicht: Er behauptet einerseits eine derartige Beschränkung
regenerativer Energien: „Erneuerbare Energien verlangen folglich dezentrale
Strukturen der Energieerzeugung und des Energieverbrauchs“ (S.
210). Andererseits sei aber eine Umwandlung in Sekundärenergien und
damit die Nicht-Beschränkung auf einen Verbrauch am Erzeugungsort sei
„im Prinzip“ (s.o.) erreichbar.

6.

Fazit: Der marxistisch argumentierende Versuch, die Produktionsverhältnisse
des zeitgenössischen Kapitalismus in Abhängigkeit von der Entwicklung
der Produktionsmittel zu denken, ist prinzipiell richtig. Der Kapitalismus
kann aufgrund der offensichtlich schwindenden Ressourcenfrage
so nicht weiterwirtschaften. Ein Zwang zu kleinräumiger Ökonomie
leitet sich daraus hingegen nicht ab. Plausibler erscheint mir zunächst ein
Zwang zur Beschränkung des Wachstums. Diese Beschränkung widerspricht
jedoch nicht einer überregionalen Arbeitsteilung. Möglicherweise
ist es sogar ressourceneffizienter, die für ein menschenwürdiges Überleben
notwendigen Güter in größeren Einheiten zu produzieren.
In jedem Fall ergibt sich aus der Ressourcenknappheit die Forderung nach
einer insgesamt, d.h. im globalen Maßstab solidarischeren Wirtschaft:
Wie sonst soll bei knapper werdenden Ressourcen jedem ein menschenwürdige
Leben ermöglicht werden?

Ulrich Schachtschneider

Dezember 2006