Altvater hat den heutigen Kapitalismus auf der Grundlage der Marxschen
Begriffe analysiert und hat dabei im wesentlichen schlüssig und folgerichtig
argumentiert. Einige Thesen sind aber bei der Diskussion in der Arbeitsgruppe
auf Widerspruch gestoßen:


1. Erneuerbare Energien contra kapitalistische Verwertung?

Die erneuerbaren Energien seien durch eine „Brandmauer“ (S.81) von den
fossilen Energieträgern getrennt, schreibt Altvater, sie „verlangen folglich
dezentrale Strukturen der Energieerzeugung“ (S. 210), und sie können nicht „die
Bedingung der Kongruenz von Energiesystem und Kapitalismus erfüllen“ (S.
213/214), die die bisherige hohe Wachstumsdynamik ermöglicht hat.
Dagegen wurde in der Arbeitsgruppe eingewandt, dass auch erneuerbare
Energien durch kapitalistische Produktions- und Vermarktungsprozesse genutzt
werden. Die Etablierung erneuerbarer Energien ist für sich genommen nicht
antikapitalistisch, obwohl diese Energien sehr gut für eine „solidarische“ oder
„sozialistische“ Ökonomie geeignet sind.

Windenergie und Photovoltaik liefern Strom, der natürlich auch von
selbstverwalteten Kollektiven in eigener Regie für die Herstellung von
Produkten oder für Tauschgeschäfte benutzt werden kann. In der Regel wird
dieser aber in das allgemeine Netz eingespeist und unterliegt damit dem Einfluss
von Stromkonzernen und staatlichen Aufsichtsbehörden. Die Herstellung von
effizienten Solarzellen ist an kostenintensive Forschung gebunden, lädt also eher
kapitalkräftige Unternehmen zu Investitionen ein als kleine Genossenschaften
oder „alternative“ Einzelunternehmer.

Treibstoffe können zum Teil durch Pflanzenöl oder Folgeprodukte substituiert
werden. Landwirte und Verbraucher können dadurch das Monopol der Preisbildung
durch die etablierten Konzerne erschüttern. Aber das ist lediglich eine
Wiederherstellung von mehr Wettbewerb, also durchaus nicht antikapitalistisch.
Ähnlich ist es mit der Bereitstellung von Heizenergie durch Biogas, Holzschnitzel,
Erdwärme oder ähnliche Technologien. Auch dadurch wird monopolähnliche
Marktmacht eingeschränkt zugunsten von kleinen und mittleren
Unternehmen, weniger Monopol bedeutet aber nicht weniger Kapitalismus.
Es gibt also keine undurchdringliche „Brandmauer“, sondern die erneuerbaren
Energien sind einfach eine zusätzliche „Plattform“ für energieverbrauchende
Wirtschaftsprozesse neben den fossilen Energien. Altvater formuliert: „Es ist
kaum vorstellbar, dass das Einreißen der ‚energetischen Brandmauer’ ohne
Umsteuern der fossil-kapitalistischen Ökonomie in Richtung einer solidarischen
Ökonomie durchführbar ist.“ (S.83) Unmöglich ist es aber nach dieser Formulierung
nicht.

Es gibt keine nennenswerte Affinität zwischen Energiearten und Wirtschaftssystemen
bzw. Produktionsverhältnissen. Die fossilen Energien „entsprechen“
nicht den kapitalistischen, die alternativen Energien nicht sozialistischen oder
solidarisch organisierten Produktionsverhältnissen. Die Merkmale der Arten der
Energien legen nicht bestimmte Produktionsverhältnisse nahe. Das Verhältnis
zwischen beiden ist indifferent.

2. Der Kapitalismus unter den Bedingungen des Ölmangels

Altvater beschreibt in Kapitel 4 und 5, dass der Kapitalismus sich erst dadurch
als historisch neues Wirtschaftssystem dauerhaft durchsetzen konnte, dass er seit
dem 18.Jahrhundert in einem qualitativ neuen Umfang fossile Energieträger und
Rohstoffe für die Produktion einsetzte. Die „Kongruenz von kapitalistischen
Formen, fossilen Energieträgern und europäischer Rationalität“ (S.72) hat eine
bisher einmalige Dynamik erzeugt, die bei einem Entzug eines großen Teils dieser
fossilen Energien nicht mehr aufrecht erhalten werden könne. Die erneuerbaren
Energien könnten unter den herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen
nicht so schnell entwickelt werden, um rechtzeitig diese Lücke schließen zu
können. „Viele meinen, man könne die so vorteilhafte und praktische Kongruenz
auch mit erneuerbaren Energien erhalten. Doch dies dürfte sich als Illusion
herausstellen.“ (S.214)

Dieser These wurde in der Arbeitsgruppe in dem Aspekt zugestimmt, dass die
erneuerbaren Energien diese Lücke nicht schließen können. Unterschiedlicher
Meinung war man darüber, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Fährt der
Kapitalismus wie ein Super-Tanker starr weiter auf einem Kurs in Richtung
finale wirtschaftliche und gesellschaftliche Katastrophe oder kriegt er doch noch
die Kurve und kann – trotz innerkapitalistischer Krisen – einen Bankrott als
Gesellschaftssystem vermeiden? Darauf kann man schwer eine fundierte und
umfassende Antwort geben. Eher lassen sich einzelne wichtige Faktoren genauer
bestimmen, die für einen zukünftigen Kapitalismus unter den Bedingungen des
Ölmangels maßgebend sein können.

2.1 Ölmangel und Verteilungskämpfe

Die „Konflikte um das Öl“ (S.163) bestimmen schon heute das politische und
militärische Handeln von Regierungen. Je schwieriger und teurer der Zugang
zum Öl wird, um so mehr werden politische und militärische Konflikte zwischen
Staaten zunehmen. Zu dieser These gab es in der Arbeitsgruppe einen breiten
Konsens. Auch die Möglichkeit, dass die Konflikte innerhalb der kapitalisti3
schen Länder zunehmen können, wenn die Preise für Benzin, Heizöl und Erdgas
exzessiv steigen, wurde durchweg bejaht.

2.2 Kohle als Alternative zum Öl?

Bieten Steinkohle und Braunkohle einen Ausweg, um die Verknappung von
Erdöl und Erdgas zu kompensieren? Diese Frage hat Altvater ausgeklammert,
obwohl die Kohlevorräte ca. 75% der weltweiten fossilen Energievorräte stellen
und wahrscheinlich für mehr als 100 Jahre reichen. Auch ihre politische Verfügbarkeit
für die wichtigsten Energieverbraucher und Handelsmächte ist besser als
bei Öl und Gas. Denn große Kohlevorkommen gibt es in den USA, China,
Russland, Deutschland und anderen EU-Ländern. Ein weiterer Vorteil der Kohle
ist ihre historische Bewährung als kapitalistisch genutzter Energieträger. Daran
könnten Ingenieure und Manager anknüpfen und so die Allianz zwischen einem
fossilen Wirtschaftssystem und den fossilen Energieträgern fortsetzen.
Die Umwandlung von Kohle in Treibstoffe ist technisch erprobt und wird
besonders in Südafrika auf dem neuesten Stand gehalten. Neue Projekte werden
vor allem in China geplant. Bei einem weiteren Steigen des Ölpreises wäre für
Unternehmen die Entwicklung solcher Anlagen auch in Deutschland interessant.
Allerdings sind die energetischen Verluste bei der Umwandlung von Kohle in
Treibstoffe sehr hoch, mindestens die Hälfte der enthaltenen Energie geht dabei
verloren. Entsprechend wäre die Umweltbelastung durch klimaveränderndes
Kohlendioxid (CO2) doppelt so hoch wie bei Treibstoffen auf Öl-Basis. Weitere
schädliche Umweltauswirkungen sind zu erwarten durch Staubentwicklung,
Abwässer und feste Rückstände.

Wenn in Deutschland ein bedeutender Teil des Bedarfs an gasförmigen und
flüssigen Brennstoffen durch Kohleumwandlung gedeckt werden sollte, müsste
man den Kohleverbrauch mindestens verdoppeln oder sogar verdreifachen. Zur
Zeit diskutieren Bundesregierung und Unternehmer aber darüber, in welchem
Tempo und welchem Ausmaß der Kohle-Bergbau in Deutschland herunter
gefahren werden soll. Eine Substituierung von Erdöl und Erdgas müsste sich
also stark auf den Import von Kohle stützen, was aber gerade bei einer Erdöl-
Verknappung schwierig oder teuer werden könnte.

Ein weltweiter Ausbau der Kohlenutzung hätte in jedem Fall eine beträchtliche
Steigerung der CO2-Emissionen zur Folge. In den letzten Jahrzehnten sind die
CO2-Emissionen pro Energieeinheit in dem Maße zurückgegangen, wie sich die
Energiewirtschaft von der Kohle auf Erdöl, Erdgas, Atomenergie und erneuerbare
Energien umgestellt hat. Ein Wiedereinstieg in die Kohleenergie würde die
ohnehin schwere Aufgabe der Reduzierung der CO2-Emissionen noch schwerer
machen und den Klimawandel mit seinen gravierenden Folgen beschleunigen.

3. Der Klimawandel als Krisenfaktor

Altvater beschreibt in Kapitel 7.6 den Treibhauseffekt mit seinen unübersehbaren
Folgen. Er stellt ihn leider nur in einem Satz auf eine Stufe mit dem
Ölmangel, was seine Gefährlichkeit für die Stabilität und das Überleben des
Kapitalismus betrifft: „Wahrscheinlicher ist eine soziale Explosion, weil
Vorbereitungen auf die Zeit nach dem Höhepunkt der Ölförderung und gegen
die drohende Klimakatastrophe viel zu kleinmütig ausfallen.“ (S. 175).
Dann aber kehrt er zurück zu der These, dass es in erster Linie um „den externen
Schock der Ölknappheit“ geht. Dieser „Schock von außen stört die Kapitalakkumulation“
(S.175). Das ist richtig, aber auch klimabedingte Schocks können die
Kapitalakkumulation beträchtlich stören. Bei Überschwemmungen und Wirbelstürmen
werden nicht nur Sozialwohnungen, sondern auch Produktionsanlagen,
Verkehrswege und Kommunikationseinrichtungen zerstört. Dabei sind solche
Katastrophen wie 2005 die Hurrikans Katrina und Rita in den USA mit mehr als
10 Milliarden Dollar Schaden erst der Anfang von dem, was auf die Weltbevölkerung
zu kommt. Solche Katastrophen lassen sich noch schwerer vorhersagen
als die Abnahme von Erdöl und Erdgas. Aus einem solchen Schock mit regionaler
oder nationaler Reichweite könnte bei der globalen Vernetzung der Volkswirtschaften
durchaus eine erhebliche Störung der Weltwirtschaft resultieren.
Altvater hat eine Chance vertan, seine These von dem äußeren Anstoß, der den
Kapitalismus destabilisieren kann, auf eine breitere Basis zu stellen. Der Klimawandel
ist von seinen Ursachen her genau so ein Produkt der kapitalistischen
Raubbau-Wirtschaft wie der Ölmangel. Daher ist seine Rückwirkung auf die
Rahmenbedingungen dieses Wirtschaftssystems ebenso zwangsläufig. Nur
durch den Umstieg von Kohle auf Öl im 20. Jahrhundert ist der Klimawandel
bzw. Treibhaus-Effekt nicht noch früher und noch massiver aufgetreten. Der
Preis dafür ist der drohende Ölmangel. Beide Probleme stehen in einem Zusammenhang
und können im Prinzip als gleich schwer wiegend betrachtet werden.
Es bringt nichts, heute darüber zu spekulieren, welches der beiden Probleme in
30, 60 oder 90 Jahren mehr Schaden anrichten und das System mehr destabilisieren
kann.

4. Perspektiven zur Überwindung des Kapitalismus

4.1 Globalisierungsgegner – Reformer oder Revolutionäre?

Altvater stellt die verschiedenen in Opposition zur neoliberal-kapitalistischen
Weltwirtschaftsordnung stehenden Bewegungen und Milieus als Hoffnung auf
eine Veränderung dar. Aber er macht nicht einmal den Ansatz einer Analyse, in
wie weit sie das System praktisch in Frage stellen oder lediglich reformieren und
stabilisieren. In Kapitel 8.5 beschreibt er zwar Initiativen in Richtung einer solidarischen Ökonomie und listet eine bunte Vielfalt auf von den gemeinnützigen
Unternehmen in Deutschland bis zu den ökonomischen Projekten, die von
Basisbewegungen in den Städten Venezuelas mit Unterstützung der Chavez-
Regierung gestartet wurden. Aber den Schritt zu einer geordneten Bestandsaufnahme
tut Altvater nicht, obwohl das in den sechs Seiten des Kapitels
durchaus möglich gewesen wäre.

Weiter führende Erkenntnisse könnte die Lektüre von Alex Callinicos „Ein
Anti-Kapitalistisches Manifest“, bringen. Dort werden im 2. Kapitel die
politischen Ziele der verschiedenen „globalisierungskritischen“ Gruppen und
Strömungen analysiert.

4.2 Der Kapitalismus vor dem Aus oder vor einer neuen Phase?

Altvaters erstes Anliegen ist es, die Widersprüche und Grenzen des Kapitalismus
wieder deutlich zu machen und damit die „neoliberale Intelligenzia“
(S.18) argumentativ in die Defensive zu bringen. Das gelingt ihm durchweg gut.
Zu den Aussichten für die Beendigung des kapitalistischen Gesellschaftssystems
gibt es bei Altvater eine eindeutig formulierte Position. Zustimmend zitiert er
Braudel (S.13, dazu auch S.24 und 178): „nur ein äußerer Stoß von extremer
Heftigkeit im Verein mit einer glaubwürdigen Alternative könnte seinen Zusammenbruch
bewirken“. In den nachfolgenden Sätzen betont er, dass man nach den
„im Innern der Gesellschaft heranreifenden überzeugen Alternativen“ suchen
und „selbst an ihrem Zustandekommen mitwirken müsse“. Diese Position stellt
sich klar gegen die alten und neuen Theorien von einem irgendwann von selbst
zusammenbrechenden Kapitalismus (z.B. bei Robert Kurz).

An anderen Stellen führt Altvater die Leser durch vorsichtige, aber sehr weit
interpretationsfähige Formulierungen in eben diese andere Richtung. Dabei
schafft er es, einen klaren Widerspruch zu seiner anfangs formulierten Position
(S.13) zu vermeiden. Ein nahe liegendes Beispiel ist der Titel seines Buches.
Gerade bei linken Lesern trifft sich der erste Teil des Titels mit den eigenen
Wünschen und Hoffnungen. Wenn davon nur bleibt, dass der Kapitalismus in 50
Jahren ein anderer sein wird als der heutige oder der von 1960 (Fordismus) oder
der von 1900 (klassischer Imperialismus), so das ist nicht besonders aufregend.
Auf derartige Umwälzungen innerhalb einer kapitalistischen Kontinuität geht
Altvater nur kurz auf S. 24 ein, wenn er sich auf Marx, Gramsci und Braudel im
Hinblick auf die „kapitalistische Entwicklung als Aufeinanderfolge von Transformationen“
bezieht. „In der passiven Revolution [Begriff von Gramsci] gelingt
es den herrschenden Eliten immer, ihr hegemoniales System ideologisch, politisch,
institutionell gegenüber den ‚subalternen Klassen’ zu stärken, auch indem
diese zumindest partiell integriert werden, indem der soziale Konsens den neuen
historischen Bedingungen angepasst wird“. So könnte der Kapitalismus auch das
21. Jahrhundert überleben.

Linkes Forum  12.12.2006