(Siehe die Rubrik "Geschichte der Linken" zur Fortführung der folgenden Diskussionsstränge)

Übereinstimmung herrschte in der Frage, dass die linken Parteien sich in der Vergangenheit stark bis ausschließlich an der Frage der Machtübernahme staatlicher Macht orientiert haben.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Orientierung nicht zu einer Realisierung einer linken Gesellschaftsutopie geführt hat. Insofern ist die Kritik von Holloway hier nachzuvollziehen. Etwas umstritten war die Frage, ob man dieses auch für die ehemaligen Regime im Osten so sagen kann, oder ob es dort (bei aller Kritik doch) einen wesentlichen Unterschied in der staatlichen Machtausübung gab. Als Einwand wurde formuliert, dass die Staatsmacht dort keinen Partikularinteressen unterworfen
 war. Als Gegenargument wurde eingebracht, dass Industrialismus und Zwecksrationalität mit
der Unterdrückung abweichender Lebensformen dort noch stärker durchgesetzt wurden als im
Kapitalismus.

Wird die Rolle des Staates jedenfalls für die westlich-kapitalistischen Länder bei Holloway deutlich unterschätzt? Hier bildet der Staat wesentliche Revenuequelle für die überwiegende Zahl der Bevölkerung. Man könne ihn gar nicht ignorieren – dazu müsste es nennenswerte außerstaatliche und außerkapitalistische Einkommensquellen geben, die nicht vorhanden sind. Dagegen wurde eingewandt, dass gerade die Existenz eines Sozialstaates dieselbe Rolle spielen könnte, wie die Möglichkeit der Landbesetzungen in Brasilien oder die Organisation in indigenen Gemeinden in Mexiko. Diese Quellen des Sozialstaates würden immer weiter zugedreht und das Lebensniveau der Menschen, die darauf angewiesen sind, abgesenkt, so dass daraus keine positive Utopie erwachsen könne, lautete der Gegeneinwand. Allerdings werden die besetzten Ländereien in Brasilien auch nicht gerade verschenkt und es käme dann hier in Europa darauf an, sozialstaatliche Strukturen mit anderen Mittel ähnlich zu verteidigen wie die besetzten Ländereien in Brasilien. In jedem Fall, das galt wohl als Konsens kann es
nicht nur um die Organisation von Einkommen gehen, sondern um den Begriff der Würde des Menschen. Der stellt sich im übrigen nicht nur in der Arbeitslosigkeit, sondern erheblich auch bei der Arbeit, wenn sie weiter so umstrukturiert wird wie es heute der Fall ist. Diese Diskussion würde auf die nächsten Sitzungen verschoben, weil diese Frage in späteren Abschnitten bei Holloway noch zentrale Bedeutung gewinnt.

Die Frage des Verzichts auf staatliche Macht stellt auch die Frage des Umgangs mit realer Machtausübung. Ab einem bestimmten Organisationsgrad der Gesellschaften scheint Hierarchie und Macht fast unumgänglich. Als Konsens wurde festgehalten, dass es Holloway nicht um das Ignorieren von Macht oder Negieren von Macht, sondern um das Blockieren von struktureller und faktischer Macht geht, was es erst ermöglicht, dass Selbstorganisation und Aneignung von gesellschaftlicher Entwicklung wieder möglich wird. Es geht auch darum, dass Kapitalismus ein gesellschaftliches Verhältnis ist, welches immer Menschen und ihrer Handlung bedarf, dass es konstituiert wird. Da Holloway auf diese Frage später noch weiter eingeht, wurde diese Diskussion vertagt.

Die Organisation der Linken in Parteien ist nicht nur ein Produkt dessen, dass staatliche Macht übernommen werden soll(te), sondern auch dessen, dass diese Gesellschaft notwendig falsches Bewusstsein konstituiert, welches ohne begriffliches Erfassen und ohne organisierte Schulungsprozesse kaum nennenswert überwunden werden kann. Organisation bedeutet damit auch immer das Schaffen eines analytischen Verhältnisses zu gesellschaftlichen Erfahrung und Veränderung. Es ist nicht klar, wie sich dieses Problem quasi von selber löst, wenn der „Aufstand expressiv und ... keine bewusste Bewegung mit einem bestimmten Ziel“ ist, wie es Holloway formuliert. Auch ist die Staatsorientierung der Linken nicht nur einfach ein historischer Irrtum, sondern Ergebnis der realen gesellschaftlichen Erfahrung (siehe das Papier „Aspekte einer linken Staatsorientierung“). Auch hier bleibt also Diskussionsbedarf.