Die Bauern sind auf der Straße 

verfasst von Helmuth

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Und sie bringen Traktoren und Anhänger mit, womit sie Autobahnen und Stadtteile blockieren. Sie scheinen die Machtfrage stellen zu wollen. Gegenüber den Regierungsparteien in Europa, ja gegen Europa insgesamt. Indem sie z. B. Versammlungen von bestimmen Parteien verhindern. Und ihr Druck auf der Straße wirkt: Im Schnellverfahren hob die EU Einschränkungen zum Schutz der Natur auf. Das verhilft zwar keinem kleinen Bauern zu ausreichendem Einkommen, nützt aber der großflächigen und industriellen Landwirtschaftsproduktion.  

Dabei bekommt die Landwirtschaft den größten Anteil des Geldes, das die EU verteilt: im Zeitraum 2014 bis 2020 über 35 % der Gesamtausgaben. Im Durchschnitt zahlt jede/r EU-Bürger*in 32 Cent am Tag für die EU-Agrarpolitik.

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Der Irrwitz ist: Trotzdem verdienen Landwirte nicht gut (in Deutschland ca. 44.000, - Euro im Jahr). Und das von der EU ausgeschüttete Geld landet zu einem erheblichen Anteil gar nicht bei ihnen: Versicherungs-, Energie- oder Immobilienkonzerne, im Prinzip alle Grundeigentümer, streichen diese Flächenprämien ein, wenn sie Ackerland besitzen und es von anderen bewirtschaften lassen. Schätzungen zur Folge kassieren diese bis zu 50 % der EU-Subventionen.

Lebensmittelpreise

Und trotz dieser hohen Zuzahlungen werden Nahrungsmittel immer teurer, auch wenn sich diese Entwicklung etwas beruhigt hat. Das deutsche Preisniveau (siehe Abbildung) ist noch nicht mal das am meisten betroffene: In Ungarn und den baltischen Staaten ist die Verteuerung noch höher. Alle die von uns, deren Geld sowieso schon nicht ausreichte, haben am Ende des Monats kaum mehr genug, um sich vernünftig was zu essen zu kaufen. Und nicht wenige sind darauf angewiesen, bei den Tafeln anzustehen, um sich mit einer warmen Mahlzeit zu versorgen. Für gute Lebensmittel, die nicht fast-food-Charakter haben, reicht’s sowieso nicht mehr. Es bleibt bei dem billigsten Gouda und billiger Wurst, weil anderer Brotbelag nicht erschwinglich ist.

Und das macht die Verhältnisse nicht besser. Billiges Fleisch, billiger Käse bedeuten schlechtes Essen, bedeuten Tierindustrie, Massentierhaltung, Billiglöhne für Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, deutlichste Umweltschäden durch Gülle, weltweite Waldabholzung und Medikamente (für die Tiere in Intensivtierhaltung) im Grundwasser.

Treibstoffausstoß

In Deutschland ist die Tierhaltung für rund zwei Drittel der Emissionen aus der Landwirtschaft verantwortlich. Hauptfaktor sind die elf Millionen Rinder - einschließlich der Milchkühe – bzw. Gülle, Mist und Jauche, zu denen 24 Millionen Schweine beitragen. Und die Landwirtschaft, die die Futtermittel für die Fleischproduktion herstellt, bekommt den vergleichsweise höchsten Anteil an Subventionen aus der EU (66,2 % des Einkommens), bei den Fleischproduzenten selbst machen diese immer noch ca. 28 % aus. Beim Gartenbau 2 % und im Schnitt 38 %.

Naturbeherrschung

Und die Intensivtierhaltung bedeutet unendliches Leiden für die Tiere. Die natürliche Lebenserwartung eines Schweins liegt bei 20 Jahren. Die Lebenserwartung einer Sau in der Intensivtierhaltung: unter 3 Jahren, die Lebenserwartung eines Mastschweins liegt bei 6-7 Monaten. Ganz ähnlich bei Hühnern: natürliche Lebenserwartung: 8-15 Jahre. Lebenserwartung einer Legehenne in der Intensivtierhaltung: 20 Monate, Lebenserwartung eines Masthuhns: sage und schreibe 40 Tage.

 

Die Landwirtschaft ist damit ein Zeichen dafür geworden, wie wir uns von allem Respekt und aller Achtung gegenüber der Natur entbettet haben. Und wie die Natur, ob Tiere oder Pflanzen, zu reinen Objekten unserer Herrschaft geworden sind, welche wir beliebig zusammensetzen und verändern wollen. Die erste Generation gentechnisch optimierter Schweine steht kurz vor der Zulassung in den USA: immun gegenüber den typischen Stall-, Minimalplatz-Krankheiten und damit profitabler, weil weniger Antibiotika eingesetzt werden müssen. Die Masttiere sind keine Subjekte mehr, die ein eigenes Leben besitzen, sondern Geld pro Kilo-Mengen. Einigermaßen ähnlich getrimmt wie das gentechnisch veränderte Getreide, das man getrost mit Glyphosat bespritzen kann. Folge des Letzteren: keine Insekten mehr. Fuhr man vor 40 Jahren mit dem Auto 200 km, musste man mit einiger Sicherheit Insekten von der Windschutzscheibe putzen; heute kann man 2000 km fahren und diese bleibt sauber. Dafür sind Pestizide verantwortlich, aber auch andere Faktoren, wie immer mehr überbaute Flächen, hochgetrimmte Gärten, Mähroboter, das Niedermachen aller Flächen, in denen sich Natur ungestört entwickeln kann.

Das Fehlen der technischen Überlegenheit, die heute Standard ist, erzwang eine Jahrtausende lange Kooperation mit der Natur, die zur Steigerung der Vielfalt von Pflanzen und Tieren beitrug. Diese Kooperation ist zu einer Vernichtung von Natur geworden – im Kontext entsprechender Profitansprüche und des induzierten Willens zum Konsum.

Mit weiter steigenden Kosten für das Essen können wir nicht weiterleben, mit dieser Umgangsweise bei der Nahrungsherstellung aber auch nicht.

Was wäre eine linke Antwort auf diese Probleme?

Die erste Antwort ist relativ einfach: raus aus der industriellen Massenproduktion von Fleisch, die über 50 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche verbraucht. 30 Prozent der jetzigen Fleischproduktion reichen auch, auf Dauer vielleicht sogar noch weniger. Stattdessen Umstellung auf Gemüse und Getreideanbau, Herstellung von Nahrungsmitteln, die so (gut) schmecken wie Fleisch. Auf diese Weise wäre mehr Fläche vorhanden, würde weniger Arbeit gebraucht, weniger an Abfall anfallen und weniger transportiert werden, und die Nahrungsmittel würden auch wieder billiger werden. Kurzfristig müssten die EU-Subventionen nicht mehr nach Fläche verteilt, sondern zur Finanzierung von ökologischen Maßnahmen und Standards eingesetzt werden. Konzernen müsste es untersagt werden, Land aufzukaufen. Landwirte sollten Anrecht auf Erzeugerpreise haben, die nicht unter den Gestehungskosten liegen.

Und tendenziell weg von der rein marktförmigen Landwirtschaft, die keine Macht gegenüber Genossenschaften und Discountern, noch nicht mal gegenüber großen bäuerlichen Betrieben hat. Nahrungsmittelproduktion ist ein Common – eine Grundlage, auf die wir alle vertrauen müssen. Deshalb sollte sie auch als Common betrieben werden, mit fairen Einkommen und guten Lebens- wie Arbeitsbedingungen. So, wie wir es für die Pflege anstreben, und wie dort mit weitgehenden Möglichkeiten zur freien Kooperation untereinander und Fürsorge für EmpfängerInnen (z. B. als massiver Ausbau des ökologischen Landbaus).

Die tiefergreifende Antwort ist schwieriger: weg von der Betrachtung der Natur als zu beherrschendes, beliebig (unter-)teilbares Objekt, reines Mittel für Gewinnung von Profiten, unerschöpflicher Brunnen der Aneignung von Rohstoffen. Stattdessen Natur als selbstständiges Subjekt mit eigenständiger Entfaltung, eigenständigen Rechten, reichlich Platz auf dieser Welt und geringer Kontrolle.

Und was fordern die Alternativversager für Deutschland und anderswo für Europa?

Eigentlich sehr wenig, obwohl es ja um unser aller Lebensgrundlage, die Ernährung, geht. Sie fordert:

Z. B. den Erhalt landwirtschaftlich nutzbarer Flächen: wie hilfreich für weitere Maisfeldwüsten für Futtermittel der Fleischproduktion, bei entsprechendem Pestizideinsatz und damit fortgesetzter Vernichtung von Artenvielfalt.

Z. B. artgerechte und wohnortnahe Nutztierhaltung, aber nur eine „praxisnahe“ Umsetzung von Tierschutzrichtlinien. Wie schön für die Tiere, die weiterhin in Ställen eingepfercht die wenigen Monate fristen dürfen, bevor es zum industriellen Schlachthof geht.

Z. B. strukturelle Rahmenbedingungen für das erfolgreiche Wirtschaften von kleinen und mittelgroßen Betrieben. Wie aussichtsreich, wenn landwirtschaftliche Produktion immer industrieller wird und die Großen die Kleinen erdrücken. Siehe das Beispiel von Näher- und SchneiderInnen.

Und was fordern sie nicht? Nahrungsmittel als öffentliches Gemeingut in entsprechender Qualität und Quantität, bezahlbar für alle und in der Herstellung ohne katastrophale Auswirkungen auf den Rest der Natur.

Ein gesellschaftliches Naturverhältnis, das der Natur eigene Rechte und eigene Entwicklungsmöglichkeiten einräumt, also Schluss macht mit Natur als rein herrschaftlichem Objekt, an der sich jede/r bedienen kann, wenn er/sie genug Geld dafür hat.

Die AfD – nur eine Partei der Gutsituierten und gesellschaftlich Etablierten.