Buchvorstellung und Diskussion
am 1.9.19, 11:00 Uhr Donnerscheerstr.55
Tomasello beschreibt eine Moral, die sich auf folgende konstitutive Elemente bezieht:
1) Kooperation
2) Arbeitsteilung
3) Repräsentation des Gesamtzwecks in den Einzelhandlungen
Sie entwickelt sich in zwei Schritten: Der erste Schritt (Entstehung der „zweitpersonalen Moral“) erfolgt nach vor etwa 2 000 000 bis vor etwa 400 000 Jahren durch das klimatisch bedingtem Knappwerden von Nahrung. Das disponiert zu aktiveren Versuchen, solche zu beschaffen und legt die Zusammenarbeit weniger, zumindest zweier Menschen nahe. Erforderlich ist es unter diesen Umständen, eine „geteilte Intentionalität“. Sie ist die Grundlage der „zweitpersonalen Moral“. Die Behauptung lautet, dass Menschen gewisse, für ihre Spezies einzigartige Kompetenzen zur gemeinschaftlichen Nahrungsgewinnung entwickeln.
Mit dem zweiten Schritt entsteht vor etwa 150 000 Jahren die „objektive Moral“ und damit der „moderne Mensch“. Materielle Grundlage dieser Entwicklung ist der Umstand, dass die Stämme zu groß geworden sind, dass alle Zugehörigen sich persönlich kennen können. Deswegen funktioniert die „zweitpersonale Moral“, die voraussetzt, dass man weiß, mit wem man es zu tun hat, nicht mehr überall. An die Stelle der persönlichen Bekanntheit tritt Ähnlichkeit. Um zu erkennen, wer dem Stamm zugehört, versieht man sich mit Merkmalen der Ähnlichkeit – mit Zeichen, Körperzeichen usw.
Warum? Weil man angewiesen ist auf den Stamm. Damit ändert sich die Fundierung der Moral. Sie ist nicht mehr das gemeinsame Produkt der Akteure. Es entwickelt sich eine „objektive Moral“, in die man hineingeboren wird. An ihr hat man sich zu orientieren und man will sich an ihr orientieren, weil man von dem moralkonstituierenden Stamm abhängig ist.
Die Moralbegründung von Michael Tomasello ist somit weitgehend materialistisch: Moral ist kein Gefühl oder innere Vorstellung, sondern eine Produktivkraft, sie ist gleichzeitig das Ergebnis ihrer Produktivität und reproduziert sich damit quasi durch sich selbst. Und sie hat in ihrer rudimentären Form (Zweitpersonale Moral) fundamentale strukturelle Voraussetzungen: Praktische Möglichkeit des Rollenwechsels, d.h. keine geschichtliche und kulturelle Verfestigung der Arbeitsteilung, Erkennbarkeit des Gesamtsinns der Handlungen für das wir, ich und du.
In der Vorstellung des Buchs sollen die einzelnen Begründungsschritte Tomasellos nachvollzogen werden. Gleichzeitig geht es aber auch um Kritik: z.B. ob der Anspruch, eine Geschichte der Moral zu schreiben, nicht verfehlt wird und was daraus folgen würde, wenn diese Kritik berechtigt ist.