Von “Eve of destruction” (1965) über “White people for peace” (2007) zu „Nicht für ein Land“ (2022) -
Musikalische Ästhetiken des Widerstandes zum Anlass der zwei Jahre Krieg in der Ukraine
18.02.2024, 11.00 Uhr, Donnerschweer Straße 55
Vortragstext hier
Bei dem Treffen soll die Geschichte des Antikriegsliedes seit 1965 skizziert werden. Denn in diesem Jahr entscheidet US-Präsident Johnson, in Vietnam zu intervenieren, anfangs nur mit 3500 US-Marines, später mit 550000 Soldaten. 1965 ist auch der Höhepunkt der Bombenkampagne des Ku-Klux-Klans gegen schwarze Gemeinden und Bürgerrechtler*innen in den USA.
Anfangs sind die Antikriegslieder thematisch durch eine moralische Anklage geprägt, gegen den Auftrag, zu zerstören und töten (z. B. Barry McGuire: "Eve of destruction"). Später wechselt das Thema zur Vision eines weltweiten Friedens (Rolling Stones: "Sing this song all together") bzw. in Richtung des individuellen Leidens rekrutierter US-Soldaten (Crosby, Stills, Nash and Young: "Find the cost of freedom"). Die dabei nicht nur in den USA wachsende Gesellschaftskritik stellt das Antikriegslied vor die Herausforderung, zwischen Anklage jeder Gewalt oder nur der imperialen Gewalt zu unterscheiden...
Gleichzeitig verschwindet die individuelle Betroffenheit, weil in den USA schon 1973 die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft wird, die Armee durch Angebot der Einbürgerung migrantischer wird und private Söldnertruppen Armeeaufgaben übernehmen. Die daraus resultierende Hilflosigkeit des Antikriegsliedes thematisiert Against Me in dem Stück „White People for Peace“.
In dem Titel „White People for Peace“ wird ein zweites Problem genannt: Für die people of color ist der Krieg nicht nur real in den sage und schreibe 17 Ländern, in die die US-Armee zwischen 1973 (Ende des Vietnam Krieges) und 2004 (zweiter Irakkrieg) intervenieren, er existiert auch in den Ghettos als struktureller Rassismus. So starben allein nach der Ermordung von Martin Luther King in den folgenden Unruhen mehr als 30 Menschen und Tausende wurden verletzt. In den Antikriegsliedern der schwarzen Communities bewegt sich der Bezugspunkt damit in Richtung der eigenen Lebenswelt, weg von allgemeiner moralischer Anklage oder der eines Soldatenschicksals.
Genau die Lebenswelt ist auch der Ausgangspunkt für die wenigen Antikriegslieder, die seit Beginn des Ukrainekriegs komponiert wurden. Auch wenn damit ein neuer Standpunkt für die Kritik am Krieg gefunden ist, bleibt ein anderes Problem bestehen: Die durch die Vision des Friedens gesetzte Harmonie fordert eine musikalische Umsetzung, die die Gefahr (nicht die Notwendigkeit!) in sich birgt, rein ästhetisch banal auszufallen.
Wir hören und diskutieren folgende Lieder:
Barry Mcguire: "Eve of destruction" (1965)
Rolling Stones: "Sing this all together" (1967),
Crosby, Stills, Nash & Young: "Cost of freedom" (1970)
Neil Young: "Flags of freedom" (2006)
Cranberries: "Zoombie" (1994)
Against me: "White people for peace" (2007)
Black Eyed Peas: „Where is the Love“ (2003)
SWISS und die anderen: "Nicht für ein Land" (2022)
evtl.- Shortparis: "Apfelgarten" (2021)