LiFo 11.01.2015, 11.00 Uhr - Buchvorstellung und Diskussion
Ort: Donnerschweerstr. 55
„Das Kapital im 21. Jahrhundert“ von Thomas Piketty
„Die Themen Einkommen und Reichtum, Kapital und öffentliche Neuverschuldung sind zu wichtig, als dass man sie allein den Ökonomen überlassen sollte.“ (Thomas Piketty, FR 2.11.14)
Dieser Ansicht waren offensichtlich auch drei Richter des Bundesverfassungsgerichtes. Sie gaben zu dem Urteil, in dem die geltende Befreiung von der Erbschaftssteuer für Betriebsvermögen als gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßend, aber im Prinzip als zulässig angesehen wird, ein Minderheitenvotum ab. Darin sprachen sie sich für höhere Erbschaftssteuern aus. Da die Bundesrepublik ein sozialer Rechtsstaat sei, müsse der Staat verhindern, dass sich immer mehr Vermögen in immer weniger Händen anhäufe.
Während Pikettys Veröffentlichungen über Reichtumsverteilung und Ungleichheit 15 Jahre lang kaum beachtet wurden, rief sein neuestes Werk weltweit ein großes Echo hervor. Die Sorge um wachsende Ungleichheit und Vermögenskonzentration hat inzwischen Institutionen und Kreise erfasst, denen man das früher nie zugetraut hätte. Sogar die Ratingagentur S&P und der IWF beklagen, dass dadurch Wirtschaftswachstum gefährdet sei sowie Finanzkrisen befördert würden.
Noch größer ist jedoch eine andere Sorge: „Der Demokratie liegt der Glaube an eine Gesellschaft zugrunde, in der die soziale Ungleichheit vor allem auf Leistung und Arbeit beruht, nicht auf Abstammung, Erbe und Kapital. […] Ohne rationale Rechtfertigung lässt sich diese Ungleichheit nicht ertragen.“ (Piketty in Spiegel 19/14.) Das Versprechen, jede/r habe die Chance des sozialen Aufstiegs, da Chancengleichheit herrsche, stößt zunehmend auf Unglauben.
Befördert wird dieser nach Piketty durch die Folgen eines „allgemeinen Gesetzes“:„Die Rendite des Kapitals oder des Vermögens übertrifft langfristig die Wachstumsrate der Wirtschaft.“ (FR 10.6.14) „Die Kapitalanhäufung führt zu immer größeren Ungleichheiten in der Gesellschaft, die als Ungerechtigkeit empfunden werden und deshalb destabilisierend wirken. Wenn die Rendite des Kapitals 4 – 5 % beträgt [...], die Wirtschaft aber nur mit einem Prozent im Jahr wächst, nimmt die anfängliche Ungleichheit rasend schnell zu.“ (Piketty, Spiegel 19/14).
Gründe genug also, sich mit dem 793 Seiten starken Werk Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ zu beschäftigen, das im Oktober auf deutsch erschienen ist. Und wahrlich nicht nur, um sich damit auseinanderzusetzen, was Piketty Neues zu den urlinken Themen Ungleichheit und Steuerpolitik zu sagen hat. Sondern in Hoch-Zeiten von Pegida und Le Pen nennt uns Piketty auch ganz aktuelle politische Gründe:
„Die Dynamik des Kapitalismus kennt keine Moralität. Sie entfaltet sich endlos weiter, solange die Institutionen der Demokratie sie nicht regulieren, wenn nötig radikal. Falls unsere Gesellschaften das nicht schaffen, sehe ich die wachsende Versuchung eines nationalen Rückzugs voraus. Sie ist jetzt schon im Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen in Europa deutlich zu erkennen. Die öffentliche Meinung und mit ihr die Politik sind ständig in Gefahr, Sündenböcke auszumachen. Das können Migranten sein oder die bösen Nachbarn...“ (ebd.)