Thesen und Gegenthesen zu
Sensibilität und Obszönität (Schamgefühl) als Basis kritischen Bewusstseins: Ist historischer Materialismus noch zu retten?
am 09.12.18., 11.00 Uhr, Donnerschweerstr. 55
Die Frage, wie „richtiges" politisches Bewusstsein entsteht, begleitet die linke Theoriebildung seit Anfang an. In dem Vortrag wird im ersten Teil holzschnittartig nachvollzogen, warum der Begriff des „Klassenbewusstseins" nicht mehr tauglich ist, um diese Frage zu beantworten. Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass ohne Ersatz linke Theorie Geschmackssache wird bzw. eine Trennung zwischen Erziehern und Erzogenen voraussetzt, die Marx gerade überwinden wollte.
In dem zweiten Teil wird anknüpfend an die Kritische Theorie und Marcuse eine Sicht der gesellschaftlichen Entwicklung dargestellt, die davon ausgeht, dass lebensgeschichtliche Zeit außerhalb reell subsumierter kapitalistischer Lohnarbeit zunimmt und den Bezugsrahmen für die Sichtweise der gesellschaftlichen Wirklichkeit prägt.
In Konfrontation mit der Wirklichkeit und den Folgen der kapitalistischen Produktionsweise gebracht, gewinnen Sensibilität und „Verzärtelung", Scham gegenüber Obszönität und allgemeines Moralurteil eine wachsende politische Bedeutung. Richtige gesellschaftliche Veränderung wäre, wenn diese Argumentation stimmig ist, nicht mehr an relative oder absolute Verelendung gebunden, sondern hätte ihre Basis in der historischen Entstehung nicht kapitalistischer Reproduktionsformen bzw. nicht reell subsumierbarer Arbeitsbedingungen, die Erziehung zur Empathie und zur Ausbildung einer allgemeinen Moral statt einer Gruppenmoral quasi "naturwüchsig" hervorbringen. Politische „Erzieher" und politisch „Erzogene" müssten nur begrenzt selber erzogen werden, der immer dominantere Care- und Kooperations-Kontext für die praktische menschlich-sinnliche Tätigkeit erledigten den Rest.
Vortragstext siehe Scham-und-Sensibilität pdf