von Prof. Dr. Irene Witte und Kristina Hänel   english version     version francaise

Inhalt:  Vielfältiger Stress - Gesundheitsrisiken - Abtreibungsgesetzgebung einzelner Länder -  Was wäre eine linke Antwort auf diese Probleme? - Was sagt die AfD dazu?

Die Gleichberechtigung der Frauen...

... hat trotz noch immer gravierender Lücken in den vergangenen Jahren zugenommen. Jetzt aber besteht die Gefahr, dass aufgrund des wachsenden Rechtspopulismus diese Rechte wieder eingeschränkt bzw. abgeschafft werden. Ein oft unterschätzter Fakt ist hierbei das Recht auf Abtreibung - mit weitreichenden Folgen. Wenn eine Frau – aus welchen Gründen auch immer – eine Schwangerschaft gegen ihren Willen austragen muss, wird ihr gesamtes Leben nicht selbstbestimmt verlaufen. Insgesamt muss so ein Abtreibungsverbot als geschlechtsspezifische Gewalt angesehen werden.

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Vielfältiger Stress

Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ist nicht EU-weit geregelt, sondern obliegt der nationalen Gesetzgebung. Zwar besteht allgemein in Europa eine Fristenregelung von 12-14 Wochen, jedoch in den einzelnen Ländern mit sehr unterschiedlichen Einschränkungen. In jedem Fall entsteht für die Schwangere vielfältiger Stress:

• Wird die Erlaubnis erteilt? 

• Wie finde ich einen Arzt/ eine Ärztin, der/die den Abbruch durchführt?

• Habe ich genug Geld für eine Abtreibung?

• Ist meine Gesundheit durch den Abbruch gefährdet?

• Wie sieht meine finanzielle Zukunft aus (z. B. als alleinerziehende Mutter)?

Häufig erweist sich die Fristenlösung als Wettkampf mit der Zeit. Insbesondere in Ländern mit repressiver Abtreibungspolitik wird der Zugang zu obligatorischen Beratungsstellen und ÄrztInnen, die die Abtreibung durchführen, erschwert. Zusätzlich kommt häufig der psychische Druck von AbtreibungsgegnerInnen vor den Beratungsstellen hinzu. Erst kürzlich wurde dies in Deutschland verboten („Gehsteigverbot“).

In der Regel – wie auch in Deutschland - wird die Abtreibung nicht über die Krankenversicherung finanziert. Dies ist für Frauen, insbesondere in prekären Verhältnissen, ein großes Problem. In Ländern mit restriktiver Abtreibungspolitik kann die Schwangere gezwungen sein, die Abtreibung im Ausland durchzuführen oder illegal abzutreiben. In Polen wurde das Abtreibungsrecht 1993 stark eingeschränkt und nochmals unter der PiS-Regierung 2021 verschärft. Entsprechend nahmen die legalen Abtreibungen ab. 2021 wurden in Polen noch 300 legale Abtreibungen registriert im Vergleich zu 94 000 legalen Abtreibungen in Deutschland (bei ca. doppelter Einwohnerzahl). 

Gesundheitsrisiken

Bei illegalen Abtreibungen kommen neben der Kriminalisierung der Frauen Gesundheitsrisiken hinzu. Bei Komplikationen aufgrund medizinisch unprofessioneller Vorgehensweise ist auch keine medizinische Nachsorge möglich. Studien aus den USA zeigen auf, dass Staaten, die den Zugang zu Abtreibungsdiensten eingeschränkt haben, im Jahr 2020 Müttersterblichkeitsraten aufwiesen, die 62% höher waren als in den Staaten, die den Zugang zu Abtreibungsdiensten erlaubten. Rassendiskriminierung verschärft nochmals die Situation. So wurden in den USA 2021 doppelt so viele Todesfälle schwarzer Frauen bei 100 000 Lebendgeburten im Vergleich zu weißen Frauen registriert.

Abtreibungsgesetzgebung einzelner Länder

Im Folgenden wird die Abtreibungsgesetzgebung einzelner Länder genauer betrachtet: Abb. 1 zeigt die Abtreibungsgesetzgebung in der EU 2018

Deutschland: Abtreibung grundsätzlich strafbar, aber aufgrund einer „Nichtverwirklichkeitsklausel“ strafrechtlich nicht verfolgt, wenn a) eine anerkannte Beratungsstelle aufgesucht wurde und b) die Abtreibung innerhalb von 12 Wochen stattfindet. Bei Lebens- und Gesundheitsgefahr ist die Abtreibung nicht strafbar. Im Jahr 2022 wurden ca. 1/8 aller Schwangerschaften abgebrochen.

Irland: Vor 2018 war eine Fristenlösung nur bei Lebensgefahr der Mutter, nicht aber aufgrund von Vergewaltigung oder Lebensunfähigkeit des Fötus möglich. Seit 2019 besteht die Fristenlösung aufgrund eines Referendums.

Malta: bis 2023 war jeglicher Abbruch verboten, danach wurde er bei Lebensgefahr der Mutter erlaubt.

Frankreich: Fristenlösung bis zur 14. Schwangerschaftswoche erlaubt. Seit Februar 2024 wurde die Freiheit zum Abbruch in der Verfassung garantiert.

Ungarn: Fristenregelung mit fachärztlicher Beratungspflicht, seit 2022 Pflicht, sich vor der Abtreibung die Herztöne des Embryos anzuhören

Polen: seit 1993 stark eingeschränkt, seit 2021 Totalverbot (auch bei schweren Fehlbildungen des Fötus), Ausnahme: bei Lebensgefährdung der Schwangeren oder als Folge einer Straftat. Die Bevölkerung Polens schrumpfte im Zeitraum von 2013 bis 2021 trotzdem um 4 %. Frauenorganisationen schätzten, dass trotz Verbot jährlich bis zu 150.000 Polinnen abtreiben.

Populistische Parteien in Europa ...

... stehen für strikte Abtreibungsverbote (wie die PIS in Polen). Wie schwierig es heutzutage ist, einmal gesetzte Verschärfungen wieder rückgängig zu machen, zeigt das Beispiel Polen. Die angekündigte sofortige Rücknahme des Abtreibungsverbotes kann Ministerpräsident Tusk bis heute nicht durchsetzen, da eine Kleinstpartei in seiner Regierung („Der dritte Weg“) ihr Veto einlegt. Wir leben in Zeiten, in denen demokratische Parteien mit immer mehr Parteien eine Koalition eingehen müssen, um regierungsfähig zu sein. Dabei werden rechtsradikale Parteien sich immer für ein Abtreibungsverbot einsetzen bzw. dessen Aufhebung blockieren. 

Was wäre eine linke Antwort auf diese Probleme?

Die Selbstbestimmung über den Körper ist ein Grundrecht, das Frauen sich über die letzten Jahrhunderte erkämpft haben. Sie gehört ins Grundgesetz aufgenommen, wie gerade in Frankreich geschehen. Eine bedingungslose Fristenlösung ohne Hindernisse ist notwendig, um eine Diskriminierung der schwangeren Frau zu verhindern. Es darf weder ein psychischer noch ein finanzieller Druck aufgebaut werden. Es muss ein leichter Zugang zu allen nötigen Informationen geben. Professionelle medizinische Abtreibungen müssen im nahen Umfeld der Betroffenen möglich sein.

Was sagt die AfD dazu?

 Im EU-Grundsatzprogramm der AfD steht: „Abtreibung ist kein Menschenrecht“. Eine Abtreibung sollte eine „absolute Ausnahme“ (kriminologische und medizinische Indikation) darstellen. Damit wird den Frauen ein selbstbestimmtes Leben abgesprochen. Dies passt zum Bild der Frau bei der AfD. Frauenförderung wird abgeschafft, z. B. durch Streichung der Gleichstellungsstellen. Errungenschaften der Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft werden negiert und sollen zurückgenommen werden.

Der drohenden Überalterung der Bevölkerung soll mit einer erhöhten Geburtenrate deutscher Frauen entgegnet werden. Im Grunde geht es der AfD darum, Frauen in der Gesellschaft nicht mehr einen Platz als individuellen Menschen zuzugestehen, sondern sie als potentielle Gebärerinnen für bevölkerungspolitische Zwecke zu missbrauchen.

Jedoch erst mit einer jährlichen Nettozuwanderung von 420.000 MigrantInnen ließe sich das Erwerbspersonenpotenzial konstant halten. Dies sollte auch die AfD wissen, es widerspricht aber ihrer Immigrationsfeindlichkeit. Auf jeden Fall könnte sie den Bevölkerungsschwund weder mit einem Abtreibungsverbot noch mit einer erhöhten Geburtenrate deutscher Kinder auch nur annähernd reduzieren.