Auswertungstreffen am 23.06.2024, 11.00 Uhr, Donnerschweerstr. 55
Die Thesen stehen unten.
Die anderen unten aufgezählten Einschätzungen bzw. Stellungnahmen zu den Thesen finden sich zum Runterladen hier
Henning: Ein gutes Ergebnis für das BSW
Horst: Ein paar Gedanken als Ergänzung zu Helmuths Thesen
Michael: Die Verluste der Grünen sind Folge einer allgemeinen
Rechtsverschiebung, nicht ihrer Ukraine Politik
Ulrich: Was bedeutet die EU-Wahl für die Linke?
Helmuth: Thesen zur Europawahl
1. Die Europawahl hat überwiegend zu einer Stärkung rechter Parteien geführt. Insgesamt haben die Parteien des linken Spektrums bestenfalls stagniert. In Deutschland konnte der Höhenflug der AfD eingedämmt werden, gegenüber der Wahl 2019 ist aber trotzdem zu einer Steigerung um 5.5 % gekommen. Oldenburg sticht heraus mit vergleichsweise geringem Anstieg der AfD, was wir hoffentlich in welchem marginalen Ausmaß auch immer unserer Aktivität mitzurechnen können... (weiter siehe unten)
2. Die Wirkung des Antritts des BSW auf das Ergebnis der AfD ist offen. Ziel war es u.a., durch ein alternatives politisches Angebot die Stimmen der AfD zu senken. Dieses Ziel ist primär nicht erreicht worden. Dort wo die AfD mit hohem Stimmenanteil abgeschnitten hat, hat auch der BSW mit hohem Stimmenanteil abgeschnitten und vice versa. Noch relevanter für diese Frage: dort wo das BSW hohen Stimmenanteil bekommen hat, hat die AfD signifikant deutlicher zugelegt als in Wahlbezirken mit niedriger Stimmenzahl für das BSW (siehe die Abbildungen).
Die Korrelation der Stimmen nach Wahlbezirken in Niedersachsen ist hoch und kann sehr wahrscheinlich 1:1 auf das Bundesgebiet übertragen werden. Zu diesem Zeitpunkt ist es damit reine Spekulation, was passiert wäre, wenn das BSW nicht angetreten wäre und welche Effekte das BSW in Zukunft auf die Wählerstimmen der AfD haben könnte. Die Möglichkeit reicht von zukünftiger Hemmung bis (wie die empirische Kopplung von AfD Zuwachs und Stimmenanteil des BSW zeigt) Bahnung, weil AfD relevante Themen von einer weiteren Partei zusätzlich primär adressiert werden. Die Wahlplakate des BSW jedenfalls waren so gestaltet, dass sie diese Gefahr in sich bergen: „Ampel oder Überholspur?“, „Maulkorb oder Meinung?“, „Krieg oder Frieden?“, "Aufstieg oder Abstieg" etc.
4. Das bemerkenswerteste Ergebnis der Wahl sind die deutlichen Verluste Grünen. In Niedersachsen gibt es kein Wahlbezirk, wo die Grünen nicht mindestens 8 % an Stimmenanteil verloren haben. Die Gründe für dieses starke Einbrechen müssen analysiert werden. Folgender Interpretationsvorschlag.
Erstens haben die Grünen einen komplett konservativen CDUartigen Wahlkampf geführt, in dem Klima und Ökologie praktisch keine Rolle spielte. Beleg: die Titel der Wahlplakate lauteten: „ein starkes Europa bedeutet ein sicheres Deutschland“, „Wohlstand erneuern“, „Klima schützen. Wirtschaft stärken.“, „Für Einkommen, mit denen alle auskommen“, „Europas Freiheit verteidigen“, „Werte verteidigen. Frieden schützen.“, „Nur Demokratie schafft Freiheit“, „Mach Nazis ein Kreuz durch die Rechnung“, „Für Menschenrechte und Ordnung“ (siehe https://www.gruene.de/artikel/unser-gr%C3%BCnes-wahlprogramm-zur-europawahl-2024). Diese Überschriften könnten fast wörtlich aus CDU-Plakaten der achtziger Jahre des letzten Jhdts. stammen. Demnentsprechend herrschaftlich und affirmativ ist die bewusste oder unbewusste Selbstdarstellung der Grünen geworden. Für ein entsprechendes Bild bitte diesem Link folgen:
Zweitens haben die Grünen sich in der Amtszeit der Ampel weitgehend von der Klimabewegung entkoppelt und sich gegen deren Aktionen positioniert. Das betrifft ausdrücklich die der letzten Generation, aber auch die von Ende Gelände und von Disrupt (z.B. bei der letzten Tesla Aktion). Damit fehlte der Klima Bewegung eine politische Repräsentation und den Grünen jede organisatorische Basis, um den Angriffen von rechts etwas entgegensetzen zu können.
Drittens ging die Glaubwürdigkeit des Kernanliegens der Grünen durch die massive Stellungnahme für ukrainische Kriegsführung verloren, da diese ausdrücklich die ökologische Problematik in den Hintergrund rückte. Gegenüber der politischen Positionierung vor der Bundestagswahl und in dem ersten Jahr der Ampel ist es damit zu einer Art „Staatsstreich“ gekommen: die Grünen haben sich gedreht und geben offiziell Militärpolitik Vorrang für Klimapolitik und die Klima Bewegung ist geschwächt (u.a., weil große Teile dabei mitgemacht haben) und es fehlt ihr durch die Kehrtwendung der Grünen an politischer Repräsentation. Beides ist als äußerst fatal einzuschätzen, denn ohne die organisatorische Verankerung der Grünen in vielen gesellschaftlichen Bereichen werden erfolgreiche Interventionen zur Begrenzung der stattfindenden Erderwärmung deutlich schwieriger.
5. Mein persönliches Fazit aus der Europawahl wäre deshalb kurzfristig, dass ohne Entkopplung größerer Teil der Grünen von der Ukraine Politik der Grünen Spitze und ohne allgemein verständlichem Konsens zu diesem Konflikt die Klimabewegung bzw. jede Bewegung zur sozialökologischen Transformation stark geschwächt auf niedrigerem Niveau verharren wird. Dies zumindest in Oldenburg zu verändern, dazu könnte das LiFo unter Umständen einen Beitrag leisten, wenn denn die allermeisten von uns das auch so sehen.
Weiter wird ohne die Herstellung der Kampagnen Fähigkeit zu Klimafragen im Kontext der sich neu organisierenden Linkspartei kein Neuanfang für die linke Bewegung und für die Klima Bewegung möglich sein. Diese Bewegung bedarf angesichts der Radikalität der Frage einer politischen Repräsentanz, die die aktuelle Grüne Partei nicht mehr leisten wird und will. Das LiFo wird hierbei keine Rolle spielen.
Mittelfristig stehen wir vor der Tatsache eines massiven Konflikts einer alten Form der Kapitalakkumulation mit Kernen in der traditionellen Industrie und einer neuen Form, in der Dienstleistungen im Mittelpunkt stehen und damit auch eine andere Vergesellschaftungsform, die eines anderen politischen Ausdrucks bedarf. Dieser Übergang ist politisch von linker Seite noch nicht begriffen, und auch die wachsenden Bevölkerungsanteile dieser neuen Form der Akkumulation haben ihren rebellischen Ausdruck und ihre gesellschaftlich herausragende Stellung noch nicht erfasst. Stattdessen sammeln sich die alten Industrien und früher dominante Fraktion des/der gesellschaftlichen GesamtarbeiterIns gegen die sich neu entwickelnden, wobei sie in ihrer Sammlung deutlich weiter fortgeschritten sind, weil sie teilweise auf schon bestehende Organisations- besonders aber etablierte Kommunikationsformen zurückgreifen können. Für den neuen Sektor des/der GesamtarbeiterIn ist diese Kommunikation und Selbsterkenntnis ungleich schwerer zu entwickeln, weil er kulturell, ethnisch, und auch ökonomisch divers ist, so dass grundlegende Rahmungen sich zwar objektiv entwickeln, aber subjektiv schwer gemeinsam erfahrbar werden. Die konservative Neuaufstellung der Grünen stellt für diesen Prozess leider eine weitere Schwächung dar. Aufgabe des LiFos wäre es, diesen letzteren Vorgang klar und einfach begreifbar zu machen und damit eine Basis für die mittelfristige Organisation von gesellschaftlichem Widerstand für Freiheit, Gleichheit, Fürsorge und Kooperation zu legen.